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Der Tibet-Terrier, einst Klosterhund tibetanischer Mönche, fand Dank dem Engagement einer britischen Ärztin den Weg vom Dach der Welt in die heimischen Wohnzimmer. Der freundliche und kinderliebe Familienhund zeigt sein asiatisch-zurückhaltendes Wesen gegenüber Fremden, doch seiner Familie gegenüber ist er fröhlich und sehr anhänglich.
Voraussetzung für gesunde Nachkommen ist ein ausreichend großer Genpool. Die tibetischen Mönche wickelten den Austausch der Hunde über die eigene Versorgung mit Produkten aus der Nutztierhaltung ab. Viehzüchter und Nomaden übernahmen die Betreuung der klostereigenen Herden, die Tibet-Terrier gehörten als Hütehunde dazu. Alten Aufzeichnungen zufolge gaben die Hirten ihre kleinsten Welpen den Mönchen, wobei goldfarbene und weiße Exemplare als besondere Glücksbringer galten. Sie fanden Einsatz zur Zucht, als Wachhund und als Standessymbol. Einige Tiere wurden befreundeten Klöstern für deren eigene Zuchten überlassen. Die Hirten erhielten im Gegenzug die größten Welpen aus der Klosterzucht, um sie als Arbeitshunde auszubilden, denn Tibet-Terrier haben sich hervorragend an das unwegsame Gelände angepasst: Klettern, Springen und eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe prädestiniert die Rasse zum Treiben von Yak- und Schafherden auf steilen Bergweiden. Das dicke, doppelte Fell schützt sie vor Regen und Kälte, aber auch vor schädlicher UV-Strahlung der Sonne im Hochgebirge ( im Himalaya befindet sich der Mount Everest, der höchste Punkt der Erde). Noch auf andere Weise waren Tibet-Terrier wertvoll: Im Winter wurden die Hunde geschoren, um aus dem Haar, gemischt mit Yak-Wolle, wärmende und sogar Wasser abweisende Stoffe zu weben.
Die britische Ärztin Dr. Agnes Greigs praktizierte als Mitglied der Women’s Medical Service of India im Hospital von Cawn-porn, als dort 1922 ein wohlhabender Tibeter Hilfe für seine Frau suchte. Sie hatten ihre Hündin Lillie bei sich. Da Tieren ein Aufenthalt im Krankenhaus war natürlich nicht erlaubt war, sorgten sich die Tibeter über den Verbleib, denn die Hündin blieb Tag und Nacht an der Seite ihres kranken Frauchens und ließ sich seit der Erkrankung auch von niemandem mehr anfassen. Dr. Greigs ging zu dem Bett, worauf Lillie saß, schaute ihr in die Augen und sprach ein ernstes Wort: “Jetzt sei ein braves Mädchen und komm so lange zu mir, bis es deiner Mama wieder besser geht. Wir besuchen sie auch zweimal am Tag.” Dr. Greigs nahm Lillie auf den Arm und die kleine Hündin hatte verstanden. Die Operation verlief erfolgreich und die Tibeterin erholte sich rasch. Um ihre Dankbarkeit auszudrücken, besuchte das Ehepaar die Ärztin später noch einmal. Lillie hatte in der Zwischenzeit vier Welpen bekommen, zwei Hündinnen und zwei Rüden. Aus diesem Wurf durfte sich Dr. Greig ein Tier aussuchen: Sie entschied sich für eine gold-weiße Hündin, die sie Bunti nannte.
Die Ärztin wollte Bunti gern ausstellen und erkundigte sich 1923 beim indischen Zuchtverband über die weitere Vorgehensweise. Sie erhielt zur Antwort, sie solle ihre damals einjährige Hündin als Lhasa Terrier vorstellen. So verfuhr sie dann auch, doch die Richter waren sich einig, dass Bunti gar kein Lhasa Terrier sei. Das Gremium und Dr. Greigs kamen überein, ein begrenztes Zuchtprogramm mit Hunden zu starten, die genau dem Rassetyp von Bunti entsprechen. Jetzt entwickelte die Ärztin großen Enthusiasmus, eine neue Rasse zu begründen und sie fand die passenden Tiere. Mit Bunti und Gyan Tse of Lamleh, einer 1928 geborenen TT-Hündin sowie dem Rüden Mr.Binks of Ladkok legte Dr.Greigs den Grundstein ihres Zuchtprojekts nach europäischem Vorbild. Die Herkunft der indischen Hündin war unbekannt, doch sie errang in Karachi und Bombay die wichtigen Champion-Zertifikate, deren Vergabe ausschließlich Hunden mit einer bestimmten Rassezugehörigkeit vorbehalten sind. Der erste Wurf fiel Weihnachten 1924 in Indien und erhielt den Zwingernamen “of Lamleh”. Wie abgesprochen, hob der indische Zuchtverband die vorläufige Registrierung mit der dritten Generation in Reinzucht auf und erkannte 1930 Dr. Greigs Hunde als eigenständige Rasse unter der Bezeichnung Tibet-Terrier an. Jetzt interessierte sich auch der Britische Kennel Club für die neue Rasse und eröffnete 1931 das Tibet-Terrier Register, nachdem die anfänglichen Verwechslungen mit dem Lhasa Terrier ausgeräumt waren.
Den Namensteil Lamleh tragen viele Kennel, doch was steckt dahinter? Mit diesem Begriff weisen Züchter darauf hin, dass ihre Tiere direkte Nachkommen aus dem gleichnamigen, ersten TT-Zwinger der Rassegründerin Dr. Agnes Greigs sind. Die Übersetzung aus dem Tibetischen ist mehrdeutig, da die Schreibweise wahrscheinlich von regionalen Dialekten eingefärbt ist. So gibt es das ähnliche Wort “Lamlee”, das “Aufbauarbeit” oder “Straßenbau” bedeutet. Möglicherweise wird damit auf die langen, beschwerlichen Wege zu den Klöstern angespielt oder es geht um die steilen, felsigen Weidegründe, dem ursprünglichen Lebensraum der Tibet-Terrier. Aus religiöser Sicht könnte auch das Rad der Reinkarnation gemeint sein.
Der Kopf ist weder zu breit noch zu groß im Verhältnis zum Körper. Hoch angesetzte, V-förmige Hängeohren liegen nicht zu dicht an. Die großen, runden Augen von dunkelbrauner Farbe liegen weit auseinander und haben schwarze Lider. Ein deutlich ausgeprägter Stopp geht über in den kräftigen Fang, der ein Scherengebiss oder umgekehrtes Scherengebiss beherbergt. Der muskulöse, mittellange Hals ermöglicht das Tragen des Kopf über der Rückenlinie. Der kompakte, kräftige Körper weist ein quadratisches Gebäude auf und verläuft mit gerader Rückenlinie. Die mittellange, hoch angesetzte Rute wird fröhlich und eingerollt über dem Rücken getragen. Gewölbte Rippen bilden den Brustkorb, der bis zum Ellbogen und nach hinten weit zurückreicht. Die Gliedmaßen sind von guter Länge und verlaufen parallel. An der Hinterhand die Sprunggelenke sind tief stehend. Vorder- und Hinterpfoten stehen flach und weisen keine Wölbung auf. Sie sind groß, rund und zwischen den Ballen reichlich behaart. Das doppelte Haarkleid bildet sich auch feiner, dichter Unterwolle und besonders an Ohren und Rute üppig ausgebildetem Deckhaar, dass fein, aber nicht seidig oder wollig sein sollte. Es darf glatt, lang oder gewellt sein, aber nicht lockig. Jede Farbe, außer Leber- oder Schokoladenbraun sind erlaubt: Gold, Weiß, Creme, Schwarz, Rauchgrau, auch zwei- oder dreifarbig.
Der Name Tibet Aspo wäre die zutreffend, doch man entschied sich, die Rasse Tibet-Terrier zu nennen. Das ist irreführend, denn es zeigt sich weder körperliche noch charakterliche Ähnlichkeit mit Terriern. Wenn man den TT im Garten beobachtet, merkt man ihm seine Hütehund-Mentalität an. Er liebt es, auf dem Dach seiner Hütte zu sitzen und sein Revier zu beobachten – ein Terrier hingegen jagt lieber durch die Rabatten und wühlt tiefe Löcher ins Erdreich. Keine Bewegung entgeht ihm im heimischen Gebiet, so wird ankommender Besuch mit viel Gebell bis zu Herrchen oder Frauchen begleitet, erst dann ist der Wachhundjob erledigt. Der TT liebt lange Ausflüge in schwieriges Gelände, wo er ohne Leine springen und klettern kann, denn seine tief stehenden Sprunggelenke sind auf diese Bewegungen ausgelegt. Auch trockenen Schnee mag er gern, wo er seine großen, runden Pfoten wie Schneeschuhe gebraucht – ein Urlaub in den Bergen, wo er seine Menschen beim Skilanglauf oder Wandern begleitet, wäre ideal. Wasser und Schwimmen sind eher nicht so sein Ding. Mit Kindern kommt der TT gut aus, es sei denn, er wird zu heftig geärgert, dann fordert er Respekt ein. Konsequente, aber liebevolle Erziehung ist vom Welpenalter an notwendig, damit der Haushund nicht etwa meint, die Führung des Familienrudels übernehmen zu müssen. Etwas Hunde-Erfahrung und entsprechende Durchsetzungskraft sollte der Halter daher schon mitbringen. Ein gut sozialisierter TT ist ein richtiger Sonnenschein mit ausgesprochen freundlichem Wesen. Er braucht engen Kontakt und Kommunikation mit seinen Menschen, um beispielsweise sein Bedürfnis nach einem festen Tagesablauf kundzutun. Seine innere Uhr ist unbestechlich, wenn es Zeit fürs Futter oder die Gassirunde wird.
Die Pflege des dicken, doppelten Haarkleides erfolgt mit fein- und grobzinkigen Metallkämmen, Naturhaar- und Drahtbürste. Verfilzungen lassen sich mit etwas Babyöl lösen, ansonsten wird die Strähne herausgeschnitten. Auch zwischen den Ballen können sich schmerzhaft drückende Haarknoten bilden. Ohrhaar am Gehöreingang wird ausgezupft, um Entzündungen entgegenzuwirken und im Sommer muss auf Grannen kontrolliert werden. Eine Pinzette hilft beim Entfernen. Das Stillhalten bei der Pflegeroutine muss schon der Welpe lernen und der Halter sollte sich am besten das richtige Kämmen und Bürsten von einem Hundefriseur zeigen lassen – Trimmen oder Schneiden nicht notwendig. Manche Hunde sind allerdings mit einem Kurzhaarschnitt am Kopf glücklicher, was sich sofort in zunehmender Aktivität zeigt. Seine Bewegungsfreude und Intelligenz lebt der TT gern bei Hundesport wie Agility, Zielobjektsuche, Dog Dance oder Flyball aus – so wird gleichzeitig seiner Neigung zu Übergewicht entgegengewirkt.
Genetisch bedingte Krankheiten können auch beim Tibet-Terrier auftreten. Bei der Hüftgelenkdysplasie (HD) und Patellaluxation (Verschiebung der Kniescheibe) sind Gelenke und Skelett betroffen. Bei den Augen ist das Absterben der Augen-Netzhaut (Progressive Retinaatrophie), Katarakt oder Linsenluxation ebenfalls erblich bedingt. Ein weiterer bekannter Erbschaden ist das Kongenitales Vestibularsyndrom, eine Innenohrerkrankung, die mit Taubheit und Gleichgewichtsstörungen einhergeht. Bei der Erbkrankheit Canine Ceroid-Lipofuszinose (CCL) handelt es sich um eine Schädigung von Körper und Nervenzellen. Heute werden Gentests bei Zuchttieren durchgeführt, um das Auftreten dieser Erbrankheiten zu vermeiden.
Bild: © Depositphotos.com / f8grapher
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